Bundesrat Beat Jans: «Botschaft der Kirche hört nicht an Landesgrenze auf»

Interview, 28. August 2024: kath.ch; Regula Pfeifer

Bundesrat Beat Jans lobt die Kirchen für ihren Einsatz zugunsten Geflüchteter. Dennoch: «Ich bin auch Justizminister und muss Gesetze durchsetzen.» Und: Der konfessionslose Jans braucht ab und zu einen Gottesdienst, um sich «wieder zu finden».

Sie haben an Samstag einen Gottesdienst besucht. Was nehmen Sie mit?
Ich fand es einen sehr schönen Gottesdienst. Besinnliche, meditative Momente sind für jeden Menschen wichtig. Auch für Menschen mit einer engen Agenda. Auch ich brauche das, um mich ab und zu wieder zu finden. Der Gottesdienst hat mir gutgetan. Besonders beeindruckt hat mich die Aussagen der Menschen, die im Ausreisezentrum Flüeli leben. Die Situation, in der sie stecken, ist sehr schwierig. Es zeigt, dass man am Asylsystem weiterarbeiten muss.

Was meinen Sie konkret?
Ich bin nicht hier, um Versprechungen zu machen. Und Einzelfälle kann ich auch nicht lösen. Ich muss über die Bücher und schauen, wo steckt der Fehler. Es zeigt sich hier: Wenn jemand in einem Ausschaffungszentrum ist und deshalb nicht arbeiten darf, aber trotzdem nicht ausgeschafft werden kann, weil er keine Papiere hat – und das über Jahre und Jahrzehnte – dann stimmt etwas nicht. Da sind Menschen zur Armut und Isolation verdammt. Da muss man hinschauen.

Sie sind in direkten Kontakt mit abgewiesenen Asylbewerbenden gekommen. Wie haben Sie das erlebt?
Der Kontakt mit Menschen – mit Flüchtlingen wie auch mit der Schweizer Bevölkerung – ist für mich sehr wichtig. So lerne ich deren Realität kennen. Ich möchte in meiner politischen Arbeit solche Begegnungen haben, damit ich bei Entscheiden weiss, worum es geht. Bei jeder Art von Politik geht es nicht nur um Zahlen. Dahinter stehen immer Menschen. Gute Entscheide, auch im Parlament, müssen auf solche menschlichen Fragen eine Antwort geben können.

Werden Sie wegen konkreten Asylentscheiden kontaktiert?
Tatsächlich werde ich immer wieder mit Einzelfällen konfrontiert, obwohl nach dem Gesetz das SEM (Staatssekretariat für Migration) für die Asylentscheide zuständig ist. Die Menschen in den Freiwilligenorganisationen, die sich mit Flüchtlingen beschäftigen, engagieren sich wirklich für Lösungen. Ich schätze das.

Wo sehen Sie die Rolle der Kirchen in Asylfragen?
Die Kirche engagiert sich sehr. Der heutige Anlass ist ein typisches Beispiel. Die evangelische Botschaft der Kirche hört nicht an der Landesgrenze auf. Sie gilt für alle Menschen, egal woher diese kommen. Ich möchte der Kirche danken, dass sie das Engagement wahrnimmt. Die geflüchteten Menschen haben teilweise Schreckliches erlebt. Die Kirche hilft, indem sie ihnen zuhört und Geborgenheit schenkt. So können die Menschen mit ihrem Leid besser umgehen.

Wie wichtig sind Kirchen für die Gesellschaft?
Das zivile Engagement – an dem sich auch die Kirchen beteiligen –, ist für die Menschen mindestens ebenso wichtig wie Gesetze und Politik. Wenn Menschen einsam sind, Sorgen haben, aber auch wenn sie Gemeinschaft, Freude und Hoffnung suchen, dann kann ihnen die Politik nur beschränkt helfen. Dann braucht es Institutionen wie die Kirche, die können das viel besser, weil sie im direkten menschlichen Kontakt sind. Und weil sie Werte vermitteln können, die Hoffnung bringen und der Seele guttun. Wir alle brauchen das.

Der Verein Miteinander Valzeina, der den Anlass mitorganisiert hat, kritisiert einiges am Asylwesen. Etwa, dass die Menschen in Ausreisezentren nicht arbeiten dürfen, dass sie abgeschottet sind und so weiter.
Wenn Menschen Schutz brauchen, sollen sie diesen bekommen und möglichst schnell nützlich werden in unserer Gesellschaft, also auch arbeiten. Das ist meine Überzeugung. Aber ich bin auch Justizminister und muss Gesetze durchsetzen, die bei uns gelten. Das gehört zu unserem demokratischen System.

Was sagen Sie als Justizminister?
Da sage ich: Kriminalität akzeptieren wir hier nicht. Und Asylzentren sind für die Unterbringung der Asylsuchenden und die Durchführung der Asylverfahren da. Es sind keine Übernachtungsstätten. Bei uns erhält Asyl, wer in seiner Heimat politisch oder religiös verfolgt und an Leib und Leben bedroht ist. Es gibt aber auch immer Menschen, die versuchen, das auszunutzen und aussichtslose Asylgesuche stellen. Das hat zu langen Pendenzenlisten und Unterbringungsengpässen geführt. Hier habe ich Massnahmen getroffen, die teilweise als Verschärfung angesehen werden. Aber ich halte sie für nötig, um den tatsächlich Verfolgten rasch Schutz bieten zu können.

Wie stehen Sie zu Vereinen wie «Miteinander Valzeina», die den Anlass mitorganisiert hat? Sind diese für Sie ein Hindernis, weil sie kritisch sind?
Nein, im Gegenteil. Es braucht diese Stimmen, die sagen: Diese Menschen haben einen gerechten Entscheid verdient, sie sind Gefahren und Leid ausgesetzt, wenn man sie allenfalls wieder zurückschickt. Solche Stimmen sind sehr wichtig. Ich suche den Dialog mit ihnen. Und ich hoffe, dass sie sich genauso laut in die politische Debatte einschalten wie jene, die nur von Missbrauch und Kriminalität reden in Zusammenhang mit Asyl. Die politische Debatte braucht die ganze Auslegeordnung. Nur so können wir gute Lösungen finden.

Letzte Änderung 28.08.2024

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