Ein Jahr Schweizer Engagement in Nordafrika

Bern. Anfang letzten Jahres reagierte die Schweiz rasch auf die politischen Umwälzungen in Nordafrika. Sie hat grosse sicherheits- und migrationspolitische sowie auch wirtschaftliche Interessen an stabilen demokratischen Verhältnissen in dieser Region und will darum den Transitionsprozess aktiv begleiten und unterstützen. Am 11. März 2011 beauftragte der Bundesrat fünf Bundesstellen in drei Departementen, ihre Aktivitäten zu verstärken und neue, konkrete Unterstützungsmassnahmen rasch aufzubauen. Dabei sollten die beteiligten Bundesstellen koordiniert, kohärent und komplementär vorgehen. Wo steht der Programmaufbau ein Jahr später und was zeichnet das Schweizer Engagement aus?

Am Unterstützungsprogramm für Nordafrika beteiligen sich das EJPD (Bundesamt für Migration BFM), das EVD (Staatssekretariat für Wirtschaft SECO) und das EDA (Politische Direktion PD, Direktion für Völkerrecht DV und Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA). Thematisch konzentriert sich das Schweizer Engagement auf drei Schlüsselbereiche: Unterstützung einer demokratischen Transition und Stärkung der Menschenrechte, Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und Schaffung von Arbeitsplätzen sowie Migrationsfragen und Schutz von besonders gefährdeten Personen. Bis Ende 2010 war das schweizerische Engagement in Nordafrika – mit Ausnahme des SECO-Programms in Ägypten und der Förderung von Menschenrecht und Friedenspolitik durch die EDA-Abteilung Menschliche Sicherheit ebenfalls in Ägypten – eher bescheiden.

Für die Umsetzung des Bundesratsbeschlusses wurden insgesamt Mittel in der Höhe von rund CHF 57 Millionen jährlich reserviert: rund 4 Mio. für demokratische Transition, rund 47 Mio. für wirtschaftliche Entwicklung und rund 6 Mio. für Migration und Schutz.

In den zwölf Monaten seit dem Bundesratsentscheid über das Nordafrika-Programm wurden zahlreiche Projekte aufgegleist. Trotz der kurzen Frist konnten erste Ergebnisse erzielt werden. Folgende Aspekte des Programmaufbaus sind besonders erwähnenswert:

  • Humanitäre Not- und Überlebenshilfe: Als Folge der kriegerischen Auseinandersetzungen in Libyen haben fast 1 Million Menschen die Grenzen zu Tunesien und Ägypten überschritten. Die humanitäre Hilfe des Bundes war in den Tagen der Krise mit Soforteinsatz-Teams vor Ort und hat den Menschen in Not Nahrungsmittel und Hygieneartikel verteilt, in Benghazi wurden Projekte im medizinischen Bereich umgesetzt. Ausserdem unterstützten BFM und DEZA die Heimreise von gestrandeten Gastarbeitern.
  • Rasches Handeln beim Blockieren von Vermögenswerten ehemaliger Machthaber: Als erstes Land weltweit hat die Schweiz Vermögenswerte politisch exponierter Personen aus Tunesien, Ägypten und Libyen gesperrt. Seither unterstützt die Schweiz die Behörden der betroffenen Staaten mit dem Ziel, unrechtmässig erworbene Gelder möglichst rasch zurückzuerstatten.
  • Breitgefächerte Unterstützung für die ersten freien Wahlen in Tunesien: Das EDA hat mit einer breiten Palette an Instrumenten die Durchführung der Wahlen vom 23. Oktober unterstützt. So finanzierte die Schweiz beispielsweise die Herstellung von Wahlurnen, und Schweizer Experten beteiligten sich an internationalen Wahlbeobachtungsmissionen.
  • Schweizer Expertise gefragt: Die Reform des Sicherheitssektors ist entscheidend für die Wiederherstellung des öffentlichen Vertrauens in den Staat und damit für eine erfolgreiche Transition. Die Schweiz hat in Zusammenarbeit mit dem Geneva Centre for the Democratic Control of Armed Forces (DCAF) bereits mehrere konkrete Projekte in Tunesien und Marokko umgesetzt, um die demokratische Umgestaltung der Sicherheitskräfte neutral und professionell zu begleiten.
  • Grüne Arbeitsplätze schaffen mit Unterstützung des SECO: In Tunesien werden zwei Kläranlagen in der Provinz Kasserine gebaut, wovon 40‘000 Personen in zwei Städten profitieren werden. Zudem wird die erneuerbare Energie gefördert. Ein Projekt zielt darauf ab, 200 Tunesier an der Installation und Instandhaltung von Solaranlagen auszubilden. Mit einem weiteren Projekt sollen 75 Betriebe dazu gebracht werden, nachhaltiger zu produzieren.
  • Mediation in der Wirtschaft: Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmen sind langwierig, kostspielig und verschleissen die knappen Ressourcen. Deshalb unterstützt die Schweiz in Ägypten ein Projekt, das die Mediation durch eine Drittpartei als Alternative zum Rechtsverfahren zwischen Unternehmen fördert. Gleichzeitig soll Ägypten zu einem regionalen Zentrum für die Ausbildung in Wirtschaftsmediation werden.
  • 10‘000 Arbeitsplätze in Ägypten und Tunesien: Die Wirtschaft Nordafrikas in Schwung zu bringen und Arbeitsplätze zu schaffen, ist eine wichtige und dringende Aufgabe. In Ägypten unterstützt die Schweiz beispielsweise ein Projekt in der Fischzucht, mit dem Ziel, 10‘000 Arbeitsplätze zu schaffen. In Tunesien unterstützt die Schweiz insbesondere Junge und Frauen aus benachteiligten Regionen, welche mit neuen Kleinunternehmen bis zu 10‘000 Arbeitsplätze schaffen sollen.
  • Zielgerichtete Zusammenarbeit im Migrationsbereich: Die Schweiz verfolgt einen gesamtheitlichen Ansatz im Migrationsbereich, was von den Partnerländern sehr geschätzt wird. Konkrete Projekte sind angelaufen oder in Vorbereitung. Eines der abgeschlossenen Projekte leistete Hilfe für gestrandete Personen an den libyschen Grenzen. Mit Tunesien wird zudem eine Migrationspartnerschaft angestrebt, welche neben der Migrationssteuerung auch die Ursachen des Migrationsdrucks berücksichtigt. Eine wichtige Priorität für die Schweiz ist die verbesserte Rückführung abgelehnter Asylsuchender sowohl in der operationellen Zusammenarbeit als auch in der Form eines bilateralen Rückübernahmeabkommens.
  • Departementsübergreifende operationelle Strukturen vor Ort: Die enge Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Bundesstellen drückt sich – neben operationellen Synergien – auch im Aufbau von gemeinsamen Schweizer Programmbüros in Ägypten und Tunesien aus.

Innerhalb eines Jahres seit dem Bundesratsbeschluss konnte sich die Schweiz als verlässlicher und engagierter Partner in Nordafrika positionieren. Sie liess ihren Ankündigungen konkrete Taten folgen und hat sich mit ihrem raschen Vorgehen, dem gesamtheitlichen Migrationsansatz und der Präsenz im tunesischen Hinterland, wo die Jasmin-Revolution ihren Anfang nahm und die Bevölkerung besonders benachteiligt ist, positiv von anderen Geldgebern abgehoben.

Dies erlaubt, die erklärten Ziele des Bundesrats für das Nordafrika-Programm zu erreichen: Einerseits Solidarität mit den Bevölkerungen der entsprechenden Länder zu leben und andererseits nationale Interessen in Bezug auf Sicherheit, Energiepolitik und insbesondere Migrationspolitik zu wahren.

Die politische und gesellschaftliche Transformation der Region ist ein längerfristiger Prozess mit zahlreichen Herausforderungen und noch ungewissem Ausgang. Die Schweiz verfolgt die weiteren Entwicklungen eng und will ihren Beitrag an eine möglichst gute Ausgangslage für eine längerfristig erfolgreiche Transition leisten. Geplant ist, dass Projekte für die Unterstützung Nordafrikas vorläufig bis 2016 umgesetzt werden.

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Letzte Änderung 07.03.2012

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