Die Volksinitiative "Ja zum Verhüllungsverbot" verlangt eine Ergänzung der Bundesverfassung, die festhalten soll, dass in der Schweiz niemand sein Gesicht verhüllen darf. Diese Vorschrift würde an allen Orten gelten, die öffentlich zugänglich sind: beispielsweise auf der Strasse, in Amtsstellen, im öffentlichen Verkehr, in Fussballstadien, Restaurants, Läden oder in der freien Natur. Ausnahmen wären ausschliesslich in Gotteshäusern und an anderen Sakralstätten möglich sowie aus Gründen der Sicherheit, der Gesundheit, der klimatischen Bedingungen und des einheimischen Brauchtums. Weitere Ausnahmen, beispielsweise für verhüllte Touristinnen, wären ausgeschlossen. Die Initiative enthält überdies das Verbot, eine Person aufgrund ihres Geschlechts zu zwingen, ihr Gesicht zu verhüllen.
Die Initiative umschreibt nicht, was unter "Verhüllung des eigenen Gesichts" zu verstehen ist. Doch das blosse Verhüllen der Haare oder des Gesichtsumfangs fällt nicht darunter. Es wäre somit weiterhin möglich, ein Kopftuch oder einen Schal zu tragen, der die Haare bedeckt. Die Initiative zielt hauptsächlich auf zwei Arten von Gesichtsverhüllung ab: das Tragen einer Sturmhaube zur anonymen Begehung von Gewalt- und Straftaten sowie die Verhüllung des Gesichts aus religiösen Gründen (Burka, Nikab). Die neue Verfassungsbestimmung müsste von den Kantonen im Gesetz konkretisiert werden. Daher entscheidet sich letztlich erst in der Umsetzung, was unter Verhüllung zu verstehen ist.
Ja. Die Initiative erlaubt Ausnahmen aus Gründen der Gesundheit (z.B. Atemschutzmasken), der Sicherheit (z.B. Motorradhelm), der klimatischen Bedingungen (z.B. Maske beim Skifahren) und des einheimischen Brauchtums (z.B. Fasnacht). Für den Tourismus, politische Veranstaltungen, geschäftliche Aktivitäten oder Werbeaktivitäten (z. B. Verkleidung als Markenmaskottchen im Rahmen einer Promotionsveranstaltung) sind dagegen keine Ausnahmen vorgesehen.
Die Gesichtsverhüllung ist in der Schweiz ein Randphänomen. Zu sehen ist sie etwa bei Touristinnen, die sich nur vorübergehend in der Schweiz aufhalten. Ein schweizweites Verbot wäre übertrieben. Die Initiative greift zudem in die Zuständigkeit der Kantone ein. Bundesrat und Parlament wollen beim bewährten Grundsatz bleiben, dass es Aufgabe der Kantone ist, die Nutzung des öffentlichen Raums zu regeln. So können sie selber entscheiden, ob sie die Gesichtsverhüllung verbieten möchten. Die Initiative könnte auch kontraproduktiv wirken. Statt der Unterdrückung der Frau entgegenzuwirken, könnte sie die betroffenen Frauen in die Isolation treiben. Schliesslich werden für einige Regionen negative Auswirkungen auf den Tourismus befürchtet.
Es ist Sache der Kantone, die Nutzung des öffentlichen Raums zu regeln - der Bund ist dafür nicht zuständig. Die Kantone haben in dem Rahmen auch die Kompetenz, ein Verbot für Gesichtsverhüllungen zu beschliessen. In St. Gallen und Tessin gilt heute ein Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum. Andere Kantone haben ein solches Verbot geprüft, haben sich aber dagegen entschieden. In 15 weiteren Kantonen gilt bei Kundgebungen oder Sportanlässen ein Vermummungsverbot.
Personen sollen Behörden ihr Gesicht zeigen müssen, wenn es für die Identifizierung notwendig ist. Dies gilt beispielsweise in Amtsstellen oder im öffentlichen Verkehr. Wer sich weigert, sein Gesicht zu enthüllen, muss mit einer Leistungsverweigerung oder einer Busse rechnen. Zudem würde der indirekte Gegenvorschlag mit punktuellen Gesetzesänderungen die Rechte der Frauen stärken. Diese ermöglichen dem Bund, spezifische Förderprogramme zu unterstützen und dadurch zur Gleichstellung der Geschlechter beizutragen.
Der indirekte Gegenvorschlag ermöglicht es, gezielt auf Probleme zu reagieren, die durch die Gesichtsverhüllung entstehen können. Im Gegensatz zur Initiative respektiert er dabei die bewährte Zuständigkeit der Kantone.
Am 7. März 2021 wird nur über die Volksinitiative "Ja zum Verhüllungsverbot" abgestimmt. Wird die Initiative abgelehnt, kann der Gegenvorschlag in Kraft treten. Vorher kann die Gesetzesänderung aber noch mit dem Referendum bekämpft werden. Eine Abstimmung darüber ist also zu einem späteren Zeitpunkt möglich.
Letzte Änderung 09.11.2020